Bröckelnder Putz, kaputte Fensterscheiben: Verlassene Orte sind ein beliebtes Ausflugsziel für Hobby-Fotografen. Auf sozialen Netzwerken generieren Bilder von alten Fabriken oder früheren Waisenhäusern viele Klicks.
Die Totenbahre im staubigen Raum ist leer. Über einem Stuhl hängt der Kittel eines Bestatters - als hätte er nur mal eben den Raum verlassen. Dabei sind Jahrzehnte vergangen, als der letzte Tote in dieser Leichenhalle in Brandenburg gewaschen wurde. Durch die Gänge irren seither nur noch vereinzelt Fotografen. Jeannette Fiedler kommt aus der Nähe von Kronach (Oberfranken) und reist seit rund fünf Jahren regelmäßig an verlassene Orte, sogenannte Lost Places. Für Aufnahmen stapft sie durch Morast oder klettert in Stollen, knipst in früheren Gefängnissen, Schulen, Krematorien oder verlassenen Schwimmbädern. Es sind Orte, die einst belebt waren. Orte voller Geschichte. Orte, perfekt für außergewöhnliche Fotos.
"Wir wollen als Fotografen den Verfall in Kunst transferieren. Wollen die Schönheit des Vergehenden herausarbeiten" (Jeanette Fiedler)
"Urbexer" nennen sich die Anhänger dieses Trends, die den morbiden Charme verfallener Gebäude auf Fotos festhalten. Die Bilder werden auf sozialen Netzwerken wie Facebook oder Instagram unter dem Hashtag #lostplaces gepostet. Auf den Fotos bröckelt oft der Putz von den Wänden, dicker Staub wölbt sich auf den Treppen, Fenster sind eingeschlagen, es sieht aus wie in Gruselfilmen oder Mystery-Serien, manchmal posieren Halbnackte vor den Ruinen.
Letzteres verpönen echte "Urbexer", sagt Fiedler. Ihre Gemeinschaft führe die Neugierde, geschichtliches Interesse und die besondere Atmosphäre und Ästhetik an verlassene Orte. Offensichtlich tummelt sich in den sozialen Netzwerken eine weitere Gruppe. Ihre Ambition scheint zu sein: der Reiz des Verbotenen, der Kick - oder die Klicks.
Viele der brachen Gelände gehören privaten Eigentümern und das Betreten ist ohne deren Zustimmung nicht erlaubt. Rechtlich gesehen balancieren die Besucher am Rande der Legalität und könnten wegen Hausfriedensbruchs belangt werden. "Manche sind nicht nur mit der Kamera unterwegs, sondern führen auch Werkzeug mit – um sich mit Gewalt Zutritt zu verschaffen", erzählt Fiedler. Dabei gelte unter Urbexern der Grundsatz: nicht einbrechen, nichts kaputt machen, nichts stehlen.
Jeannette Fiedler betritt Gelände und Gebäude nach eigenen Worten grundsätzlich nur, wenn sie offen stehen oder leicht zugänglich sind. Sie ziehe nie alleine los und hole sich mittlerweile eine Genehmigung oder buche eine Tour. Denn auch Anbieter haben die verlassenen Orte und den neuen Markt dahinter entdeckt, bieten legale Foto-Touren an.
Auf Plattformen wie Youtube verbreiten sich Videos über Lost Places viral. Hunderttausende Aufrufe hat etwa die Aufnahme eines bekannten Youtubers (ItsMarvin) über ein seit zehn Jahren verlassenes Krankenhaus in Büren bei Paderborn. Darin ist zu sehen, wie er mit einem Begleiter Patientenakten findet. Die Polizei nahm in dem Fall eine Strafanzeige wegen des Verdachts auf Hausfriedensbruch auf. Der Youtuber sprach davon, einen Datenskandal aufgedeckt zu haben.
Die Fotogemeinschaft, in der Jeannette Fiedler verkehrt, distanziert sich von Einbrüchen. «Wir betreten die Räume still, achtsam und mit Respekt», sagt Fiedler. «Wir fassen nie etwas an, und allein unsere Eindrücke, Erinnerungen und Bilder nehmen wir mit.»
Die Regeln des Urban Exploring (Urbexer)
- Nichts als Fußspuren hinterlassen: Nichts verändern, beschmutzen oder entwenden.
- Niemals einbrechen: Keine Fenster zerschlagen und keine Türen aufhebeln. Wenn es keinen Zugang gibt, verschwindet man wieder.
- Auf sich aufpassen: Morsche Böden und Balken stellen hochriskante Verletzungsrisiken dar.
- Keine genauen Adressen nennen: Um die Lost Places vor Vandalismus zu schützen, werden keine Adressen genannt.